Sehnsucht nach Echtheit

Regionalität, Identität, Kultur

Wohi gôt's

"Echt Muntafu" Ausgabe 03 / 2015

Viele Gäste sehen im Montafon noch ein Stück „heile Welt“. Hier scheint die Zeit langsamer zu vergehen, der Alltag weiter weg. Grund dafür ist die Natur, aber ebenso die Verbundenheit der Menschen mit ihrem Tal. Die Regionalität und Identität zu bewahren, ist im Montafon kein leeres Versprechen, sondern ein echtes Anliegen.

„Echt Muntafu“ hat Menschen an einen Tisch geholt, die sich im Beruf und in der Freizeit mit viel Herzblut dafür einsetzen, Regionalität und Tradition hoch zu halten: Heike Ladurner- Strolz, Chefin vom Hotel „Zimba“, Manuela Stocker von der Landjugend Montafon, Oswald Ganahl, Obmann von „bewusst.montafon“ und Michael Kasper, Leiter der Montafoner Museen und Obmann des Heimatschutzvereins.

Das Interview

mit Michael Kaspar, Manuela Stocker, Oswald Ganahl und Heike Ladurner-Strolz

Die Tourismusstrategie 2020 sieht in den Werten Regionalität, Identität, Kultur große Chancen für die Zukunft.
Der Heimatschutzverein Montafon gehört mittlerweile zu den stark wachsenden kulturellen Vereinigungen Vorarlbergs. Warum ist das so?

M. Kasper: Ich glaube, das ist eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung. Im Privaten, im Kommerziellen ebenso wie im Kulturbereich gibt es einen Trend, in unserer globalisierten Gesellschaft wieder auf die regionalen, traditionellen Themen zurückzugehen. Ob in Architektur, Kulinarik oder bei klassischen Kulturangeboten:
Die Wertschätzung steigt sowohl bei den Vereinen, die das praktizieren, als auch beim touristischen Publikum, das davon angesprochen wird, und bei den Einheimischen. Unser Heimatschutzverein hatte vor 15 Jahren 300 Mitglieder, jetzt sind es 900. Das zeigt klar das große Bedürfnis nach Inhalten.

O. Ganahl: Es ist eine Sehnsucht nach Echtheit da, bei Einheimischen und den Gästen gleichermaßen.

Frau Ladurner-Strolz, wie erleben Sie diese Entwicklung in Ihrem Hotel? Mit welchen Erwartungen kommen Ihre Gäste ins Montafon?
H. Ladurner-Strolz:
Bei unseren Gästen merke ich, dass sie am wirklichen Leben hier teilhaben wollen. Auch darum ist mir wichtig, dass wir alles, was wir unserem Gast an Regionalem und Traditionellem anbieten und präsentieren, selbst leben. Der Gast schätzt das. Ich glaube, am höchsten sind die Erwartungen in Bezug auf unsere Herzlichkeit. Wir Montafoner sind eher zurückhaltend, aber wenn wir lachen und offen sind, dann ist es „echt“. Der aufgesetzte Schmäh, den man mancherorts im Tourismus hat, liegt uns nicht.



„Auch Jugendliche haben einen starken Bezug zu ihrer Heimat und eine große Wertschätzung für regionale Produkte.“

Manuela Stocker

Der Verein „bewusst.montafon“ bringt Tourismus und Landwirtschaft zusammen. Wenn Sie zurückblicken, was hat sich in den vergangenen Jahren getan?  
O. Ganahl:
Wir haben in den vergangenen 20 Jahren wirklich viel erreicht. Ein Riesenerfolg ist sicher Sura Kees – ein Produkt, das vor 20 Jahren fast unverkäuflich war und in der Zwischenzeit sehr gefragt ist. Hier hat sich in der Wertschöpfung wie in der Qualität immens viel getan. Dazu haben die Alpen, die Landwirtschaftskammer, die Gastronomie und Hotellerie an einem Strang gezogen. Und die wohl größte Errungenschaft – mittlerweile für viele selbstverständlich – ist, dass Landwirtschaft und Tourismus zusammengerückt sind, Partnerschaften geschlossen haben und das Miteinander pflegen.

H. Ladurner-Strolz: Dabei hat sich die Grundstimmung verändert. Früher waren da die Landwirte und dort die Hoteliers. Und bei den Landwirten fehlte im Bezug auf die Hotellerie oft etwas der Stolz – man meinte, die Produkte wären für die Gäste zu „minder“. Das hat sich grundlegend geändert. Man ist auf Augenhöhe und tut sich zusammen auch leichter.  

M. Stocker: Ich arbeite bei den Gargellner Bergbahnen, wo wir das Bergfrühstück mit regionalen Köstlichkeiten anbieten. Wir haben von unseren Lieferanten schon vielfach gehört, dass Gäste bei uns was probiert haben und dann zum Produzenten gegangen sind, um sich zu informieren. Man merkt, die Menschen wollen wissen, woher die Lebensmittel kommen.



„In den letzten 20 Jahren sind Landschaft und Tourismus zusammengerückt und pflegen ein konstruktives Miteinander. Ein großer Erfolg.“

Oswald Ganahl

Frau Stocker, Sie sind auch in der Landjugend aktiv. Welche Einstellung haben die jungen Montafoner zu regionalen Produkten und zur Kulturlandschaft?  
M. Stocker:
Auch die Jungen werden diesbezüglich immer sensibler. Wir haben in einem Projekt von Kindergartenkindern bis hin zu 16-Jährigen alle befragt, wie sie zum Thema Regionalität stehen. Dabei sind wir positiv überrascht worden. Dass im Umfeld der Landjugend das Bewusstsein dafür ausgeprägt ist, wussten wir. Aber dass es in einer bunt gemischten Schulklasse ebenso ist, hat uns schon gefreut. Man hat den Bezug zu ihrer Heimat und die Wertschätzung für heimische Produkte gemerkt.

Im September findet wieder die Veranstaltung „septimo“ statt, welche die regionale Kulturgeschichte inmitten der Montafoner Naturlandschaft beleuchtet. Was steckt dahinter?  
M. Kasper:
Alles, was heute in den vier Museen und im Archiv ist, kommt aus der gesamten Montafoner Kulturlandschaft. Mit „septimo“ versuchen wir, wieder zurück in die Kulturlandschaft zu gehen. Wir merken, sobald man es in einen neuen Zusammenhang stellt, wird es für die Leute interessant. Wir möchten aber nicht nur über Vergangenes erzählen, sondern auch neue Akzente setzen. Im Vorjahr hat bei „septimo“ zum Beispiel in der letzten noch erhaltenen Tanzlaube in Gaschurn eine Improvisationstanzgruppe getanzt. Was uns freut ist, dass diese Veranstaltungen bei Einheimischen und Gästen gleichermaßen Anklang finden.

 



„Die historische Bausubstanz im Tal verschwindet zusehends und auch der begrenzte Naturraum steht unter Druck. Lösungen erfordern ein talweites Denken.“

Michael Kasper

Wird genug getan, um das regionale Erbe des Montafons zu bewahren? Wo sehen Sie noch Chancen und Herausforderungen?  
H. Ladurner-Strolz:
Man hört eher, dass bei uns zu viel passiert und man schon die Qual der Wahl hat, was man sich ansieht. Aus meiner Sicht als Hotelier könnte ich nicht sagen, dass ein wesentliches Thema stiefmütterlich behandelt wird.  

M. Kasper: Ich sehe das große Manko in der Kulturlandschaft. Man kann fast dabei zuschauen, wie die historische Bausubstanz im Tal vor allem bei den Nutzgebäuden verschwindet. Auch in den Maisässgebieten. Hier ist die große Frage, was mit den Ställen passiert: Werden sie alle zu Wohngebäuden umgebaut? Wenn nur noch Häuser dastehen, kann man das nicht mehr als Maisäss bezeichnen. Neben dem baukulturellen Erbe steht auch der Naturraum stark unter Druck. Wir haben eine sehr begrenzte Fläche an Talboden – wie geht man damit um? Hier müsste man schon talweit und mancherorts umdenken.

O. Ganahl: Das ist auch aus bäuerlicher Sicht ein großes Thema. Denn uns drängt man immer weiter an den Rand. Aber wir müssen uns dessen bewusst sein: Wenn wir den Lebensraum im Tal erhalten wollen, brauchen wir auch Freiflächen – und zwar nicht nur an steilen Berghängen. Wenn alles verwildert, gibt es kein Landschaftserlebnis mehr. 



„Was wir unseren Gästen an Regionalem und Traditionellem anbieten, müssen wir selbst leben und dahinter stehen .“

Heike Ladurner-Strolz

NACHHALTIG AKTIV

bewusst.montafon

Tourismus und Landwirtschaft sind eng miteinander verknüpft: über die Produkte sowie die Pflege und Erhaltung der Landschaft durch die Bauern. „bewusst.montafon“ verbindet beide Welten.

Schon vor 20 Jahren haben sich engagierte Land- und Gastwirte zusammengetan, um die Absatzmöglichkeiten landwirtschaftlicher Erzeugnisse zu verbessern. Aus einem losen Zusammenschluss erwuchs ein Verein und dann im Jahr 2006 die Initiative „bewusst.montafon“. Ihr Ziel ist, das Bewusstsein für Spezialitäten aus dem Tal zu stärken, um die Existenz der Landwirtschaft und der jahrhundertealten Kulturlandschaft zu sichern. 

VERSTÄNDNISVOLLE PARTNER
„Heute“, berichtet Vereinsobmann Oswald Ganahl, „zählt ‚bewusst.montafon‘ an die 100 Mitglieder – 60 Prozent sind Landwirte, 40 Prozent kommen aus dem Tourismus.“ Rund 97 Prozent der Landwirtschaft im Tal wird im Nebenerwerb betrieben. Da ein Direktvertrieb für die Landwirte mit hohem Aufwand verbunden ist, setzen sie auf „bewusst.montafon“, um ihre Erzeugnisse zu vertreiben. Eine der Herausforderungen ist, dass Angebot und Nachfrage mitunter auseinanderklaffen: So ist im Frühjahr das Angebot an Kalbfleisch sehr groß, in den Hotels steht der Gästeandrang aber erst noch bevor. Ganahl weiß, dass das für beide Seiten nicht immer einfach ist, aber: „Gastronomen und Landwirte müssen einfach miteinander reden“, ist der Landwirt, der auf seinem Hof selbst Gäste beherbergt, überzeugt. Das schaffe gegenseitiges Verständnis, neue Ideen würden geboren und Partnerschaften geschlossen.

BIOHOF MIT VORBILDCHARAKTER
Wie es funktionieren kann, zeigt der Biohof Gavadura in St. Anton im Montafon. Dort hält Familie Battlogg an die 300 Hühner. „Etwa die Hälfte der Eier verkaufen wir ab Hof, die andere Hälfte an das Käsehaus und verschiedene touristische Betriebe“, berichtet Herbert Battlogg. In der Nebensaison werden statt der Hotellerie die Bäckerei „Walter's Brotlädele“ in St. Anton im Montafon mit frischen Eiern versorgt und auf dem Hof Nudeln damit gemacht. Battlogg führt einen der wenigen Biobetriebe im Montafon. Wenngleich die bürokratischen Hürden hoch sind, kommt für ihn konventionelle Tierhaltung nicht mehr in Frage: „Nachhaltig zu wirtschaften ist für mich das einzig Wahre.“ Mit Freude möchten auch die Mitglieder von „bewusst.montafon“ ihr gemeinsames Vorhaben vorwärtsbringen. Bestehenden Initiativen und Projekten soll noch in diesem Sommer frischer Wind eingehaucht werden. Wichtig ist für Oswald Ganahl aber auch die Vernetzung mit den örtlichen Tourismusbüros, mit Montafon Tourismus und den Montafoner Museen. „Gemeinsam und mit der Hilfe von Partnern wie etwa Montafon Tourismus, die uns seit vielen Jahren unterstützen, können wir einfach mehr erreichen.“
 

"Echt Muntafu" Ausgabe 03 / 2015

Die Montafoner Bäuerinnen laden zu besonderen Anlässen ans regionale Buffet mit hausgemachtem Brot, Käsespezialitäten, Montafoner Speck, Mosbröckle und mehr. 

Ein Holzkistchen, gefertigt in der Montafoner Caritas Werkstätte, prall gefüllt mit Köstlichkeiten der heimischen Bäuerinnen und Bauern, eines Konditormeisters und einer Feinkosthändlerin. 

Ausgewählte Hotels, Pensionen, Gasthäuser und Restaurants verwöhnen zum Abschluss des Sommers immer mit traditionellen und neuen Gaumenfreuden aus regionalen Produkten. 

Anfang Oktober kommt das ganze Tal beim Buratag zusammen. Der wird jedes Jahr von der WiGe Montafon in Zusammenarbeit mit "bewusst.montafon" und dem Viehzuchtverein Schruns veranstaltet. Der kulinarische Höhepunkt ist die Sura-Kees-Prämierung durch eine Fachjury. Natürlich ist auch das Publikum herzlich eingeladen, die unterschiedlichen Käse der einzelnen Alpen zu probieren. Außerdem auf dem Programm stehen die Viehausstellung und Live-Musik. Für die Bewirtung sorgt die Monafoner Landjugend. 

Die Initiative "bewusst.montafon" setzt sich auch für den Erhalt der regionalen Tierrassen Montafoner Steinschafe und Montafoner Braunvieh ein. Beide waren im 19. Jahrhundert weit verbreitet und sind heute vom Aussterben bedroht.