Wiegensee Wanderung – faszinierende Moorlandschaft im Herbst

Nachhaltiges
Sportliches
30.10.2025

Wiegensee Wanderung – faszinierende Moorlandschaft im Herbst

Heute erwartet mich etwas Besonderes: eine Moorlandschaft auf 1.900 Meter! Moore in dieser Höhe? Und lebt da wirklich etwas? Ich bin gespannt. 

Von der Bergstation der Tafamuntbahn gelangen wir direkt auf einen schönen Wurzelpfad. Weitblicke gibt es hier im bewaldeten Gebiet noch nicht, aber unsere Wanderführerin Monika eröffnet uns ganz neue Blicke. Hätten wir sonst das eingezäunte kleine Waldareal entdeckt, das zum Monitoring der Wildtiere dient, und allerlei spanende Informationen über Hirsche und Co. erhalten? Oder über das Innenleben des geschädigten Baumstamms vor uns – und welche geschickten Strategien die Spechte entwickelt haben? Der Pfad gestaltet sich abwechslungsreich und leicht ansteigend, sodass wir bald einen gigantischen Blick auf die Silvretta-Hochalpenstraße und -Gebirgszüge erhaschen. Der Piz Buin, der höchste Berg Vorarlbergs, versteckt sich heute allerdings in Wolken. Es ist ein Herbsttag der mystischen Art, wolkenverhangen und im leichten Nebel, der immer wieder Licht durchgleiten lässt. Geheimnisvoll und passend zum Weg ins Moor. 

Im Rausch der Sinne – Goldhähnchen hören, Hirsche riechen, Beeren schmecken

Der Weg schlängelt sich spannend weiter, über Wurzeln, Steine, kleine Felsplatten. Neben Sehen und Fühlen (ok, der Muskelkater wird sich vielleicht morgen bemerkbar machen) regt Monika immer wieder andere Sinne an: Denn hier im Wald kann man oft Meisen und Goldhähnchen hören und Brunfthirsche riechen. So sind die ersten rund 300 Höhenmeter schnell geschafft und wir erreichen eine Wiesenlandschaft. Ein faszinierendes Bild, diese Weite in Herbstfarben. Einladend sehen die Wiesenbüschel mit Moosen aus – aber, ach ja, die mäandernden Bäche strecken uns mahnend die Finger entgegen: Auf dem Weg bleiben, wir befinden uns ja in einem Feuchtgebiet. Nicht nur, dass wir abseits der Pfade schnell quietschende, triefende Wanderschuhe hätten – vielmehr würden wir die speziell angepasste Flora und Fauna schädigen. Wie wir von Monika erfahren, ist der Wiegensee, den wir bald erreichen werden, nur 64 Hektar groß, doch zusammen mit dem angrenzenden Verwall bildet es mit einer Fläche von 120 km2 das größte Schutzgebiet Vorarlbergs. Als Europaschutzgebiet Natura 2000 zählt es zum europaweiten Netzwerk von schützenswerten Lebensräumen. Das Ziel ist bedeutender denn je: Besondere Arten und Lebensräume sollen dauerhaft erhalten werden. Was das bedeutet, werden wir noch erfahren. 

Entlang des Pfads streifen wir immer wieder Sträucher mit zahllosen Preiselbeeren – fast könnte man meinen, das Marmeladeglas füllt sich hier von selbst, incentiviert durch den Hirschgeruch. Wir finden auch immer wieder zwei zum Verwechseln ähnliche blaue Beeren: Heidel- und Rauschbeeren. Wirklich so ähnlich? Monika zeichnet hier ein ganz anderes Bild: Neben äußerlichen Unterscheidungsmerkmalen erfahren wir auch, welche der Beeren bei Verzehr mengenabhängig entweder Bauchweh, Durchfall oder Obstipation verursachen kann und was es mit dem „Rausch“ auf sich hat. Berauscht war ich irgendwie schon allein durch das mystische Licht, das Farbenspiel und die immer neuen Perspektiven im leichten Nebel. 

Ist sie wirklich fleischfressend? 

Heidekraut und Gräser in Herbstfarbtönen breiten sich vor uns aus, als wir weiter den Steinplattenweg entlanggehen. Plötzlich zückt Monika – Sherlock Holms lässt grüßen – eine Lupe und lässt uns in die Magie des Sonnentaus eintauchen: Unter dem Vergrößerungsglas erkennen wir auf den roten Härchen die Tröpfchen, die in der Sonne glänzen und Insekten anziehen. Hier ist er also, ein Vertreter der fleischfressenden Pflanzen, von denen ich als Kind dachte, dass sie noch eine große Gefahr für uns werden würden. Wir sehen den klebrigen Tropfen, der von den Drüsenhaaren der Blätter freigegeben wird und in den Insekten verfangen. Enzyme aus diesem Tropfen spalten die Eiweiße der eingefangenen Beute und geben sie an die Pflanze weiter. Eine ausgeklügelte Strategie, sich in der nährstoffarmen Moorregion selbst versorgen zu können.

Die über Jahrhunderte und -tausende entwickelten Anpassungsstrategien von Pflanzen und Tiere faszinieren immer wieder. Gleichzeitig zeigt der lange Anpassungszeitraum, wie empfindlich Arten sind, denn sie können sich an den voranschreitenden Klimawandel nicht so schnell anpassen. Umso wichtiger ist es, die bedrohten Arten in Schutzgebieten wie diesen zu erhalten. 

„Hier kann man immer wieder Auerhühner, Birkhühner, Kauze und den Steinadler sehen“, sagt Monika. Viele Vögel sind anspruchsvolle Arten und ihre Präsenz zeigt, dass das Ökosystem intakt ist. Gerade den Steinadler würde Monika fast immer um die gleiche Uhrzeit, meist zwischen 13 und 14 Uhr, oberhalb des Wiegensees sehen. Klar, wollen wir auch. So gehen wir weiter auf wechselndem Terrain mit Wurzeln, Steinen, Schotter und Steinplatten.  

Der Wiegensee – er hat sich einfach selbst gestaut 

Immer wieder erhalten Weit- und Tiefblicke. Das fasziniert mich, denn Moore und Tiefblicke aus Höhenlagen war für mich bisher immer ein Widerspruch. Wir richten Kopf wieder nach vorn und dann sehen wir ihn: den Wiegensee, der älteste Stausee des Montafons. Dabei hat es keine Hand gebraucht, er hat sich einfach selbst gestaut (menschengemachte Stauseen wurden eh erst viel später errichtet). Er hatte es auch leicht: Hoch gelegen auf 1925 m konnte er sich mit entsprechend viel Niederschlägen perfekt ausbilden. Die Staumauer? Die bildet die Schwingrasen, die auf dem Wasserkörper wachsen und sich am Rand hochdrücken. Eine absolute Seltenheit und von internationaler Bedeutung 

Ein Hochmoor ohne Kontakt zum Grundwasser oder Mineralboden – was kann da schon leben, denke ich. Doch selbst in diesem Essigwasser finden sich spezialisierte Arten wie der Moorfrosch, Wollgras und Torfmoose. Und ganz unten im See? „Dadurch, dass immer Wasser über der Moorschicht ist, kommt kein Sauerstoff an abgestorbene Pflanzenteile oder Tiere, sodass sie sich nicht zersetzen. Alles organische Material ist konserviert. Uns beschleicht ein mulmiges Gefühl, aber bevor sich Leichen vor unserem inneren Auge ausbreiten können, löst Monika auf: „So tief ist der See nicht und es gibt auch keine Leichenfunde oder größere Tierrelikte“. Also könnte man auf den einladenden Steg rennen und vielleicht … „Baden ist hier natürlich verboten, man könnte zwar Stellen finden, wo man wieder herauskommt, am Schwingrasen würde man aber immer wieder einsinken.“ Und klar, es handelt es sich um ein Naturschutzgebiet, das nicht gestört werden soll. Die in faszinierendes Licht getauchte Landschaft vor uns bewegt uns, animiert vom Schwingrasen. 

Selbst im Gehen spürt man Entschleunigung 

„Moore sind nicht nur wichtig für den Artenschutz, sie sind vor allem auch effektive CO2-Senken“, erklärt uns Monika. Historisch bedingt, um auch diese Ökosysteme urbar zu machen, wurden etwa 90 %der Moore in Österreich trockengelegt, in Deutschland sogar über 95 %. Dadurch werden die einstigen CO2-Senken zu CO2-Quellenin Deutschland sind sie für 7,5 % der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Die weitere Bedeutung dieser Ökosysteme als Wasserfilter sowie Dürre- und Überschwemmungsschutz durch ihre Schwammwirkung können wir uns auch hier oben am Wiegensee in der feuchten Luft leibhaft vorstellen. 

 

Über herrliche Holzplankenwege geht es weiter. Die Weite, die Ruhe, das Herbstlicht selbst im Gehen spürt man hier Entschleunigung. Leicht ansteigend geht entlang schmaler Bergpfade und schon bald erhaschen wir ein weiteres Wellness-Element: Wasserrauschen. Die Wasserfälle der Verbellaschlucht. Man fühlt sich wie in Norwegen. Und tatsächlich: Viele der Pflanzen wie die schwefelige Küchenschelle, Heide- und Alpenrosen und Tiere wie Schneehasen und -hühner finden sich auch in skandinavischen Ländern, wie Monika erklärt. Es ist so weitläufig hier oben, so unberührt, man verschmilzt mit der Natur. Ich könnte hier ewig weiterlaufen, und ein bisschen vom „ewig“ machen wir auch und steigen noch zur Alpe Verbella hinauf. Eine wunderschön gelegene Alpe, die ich auf jeden Fall nochmal besuchen werde in der Almsaison – im Rahmen dieses Programms ist eine Hüttenmahlzeit dann eingeplant. Wir genießen aber die späte Herbstzeit mit ihrem ganz eigenen Charme, laufen wieder zum See hinunter und packen dort auf den Holzbänken unsere Vesper aus. Und plötzlich drängen ein paar Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke, Nebelschwaden lichten sich wieder – und wir erhaschen Gämse am Berghang. Das Date mit dem Steinadler? Holen wir nach. 

Ich bin mir sicher: Diese Wanderung mache ich nochmal, vielleicht im frühen Sommer, wenn hier alles blüht. Die Gegend hier ist auf jeden Fall immer beeindruckend! 

Simone

Hallo, ich bin Simone und Outdoor-Sportlerin aus Leidenschaft. Seit ich die Volleyballhallen- und Laborluft hinter mir gelassen habe, zieht es mich immer wieder ins Montafon. Die Arbeit als freie Redakteurin kann ja notfalls mit. Gerade hier, in der unglaublich vielfältigen Natur, authentischen Region und unter netten Menschen, findet man Power und Inspiration pur. Hüttenwanderungen, Gletscher- und Mehrtagestouren, Bike- und Skirouten oder Klettersteige – jedes Erlebnis hat hier seinen ganz eigenen Reiz. Für mich immer wieder ein Highlight: das BergePLUS Programm. Durch die heimischen Berg- und Wanderführer erhält man hier Einblicke direkt „out on the road“.

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