Dreistufen-landwirtschaft

Leben im Rhythmus der Vegetation

Ein wesentlicher Teil der Montafoner Kulturlandschaft wurde durch die Dreistufenlandwirtschaft geformt, die über viele Jahrhunderte gepflegt wurde. Sie ist bis heute lebendig und wird Dir immer wieder auf Deinen Wegen im Montafon begegnen. Lass Deinen Blick und Deine Gedanken einmal im Montafon schweifen und nimm die Landschaft ganz bewusst wahr! Neben den Gebirgszügen des Verwalls, des Rätikons und der Silvretta werden Dir auch die vielen bewirtschafteten Wiesen im Tal, die Maisäßgebiete in den mittleren Höhenlagen und die bewirtschafteten Hochalpen auffallen.

Maisäß Hora | © Montafon Tourismus GmbH, Schruns

Hast Du Dich schon gefragt, wie und warum das alles entstanden ist?

Die Antwort liegt in der bäuerlichen Prägung des Montafon, die Du bis heute spürst. Genauer gesagt, ist die heutige Montafoner Kulturlandschaft durch die sogenannte Dreistufenlandwirtschaft geformt worden. Wahrscheinlich schon vor dem Mittelalter wurde diese halbnomadische Bewirtschaftungsform hier ausgeübt. Im Jahreslauf suchen die Bauern mit ihrem Vieh unter Berücksichtigung des Vegetationszustandes Weideplätze in verschiedenen Höhenlagen auf. So wird die gesamte Vegetation des Lebensraumes jahreszyklisch genutzt. Oder einfacher ausgedrückt: Die Landwirte ziehen mit ihren Tieren dem Futter nach.

Offi uf an Maisäß

Die Bauernhöfe am knapp bemessenen Talboden hatten vielfach zu wenig Grundfläche, um für ihr Auskommen zu sorgen. Deshalb musste eine weitere Bewirtschaftungsform gefunden werden, auch um Futtervorräte für den Winter anlegen zu können. Die Lösung fanden die Landwirte in Form der Maisäße und Alpen. Sobald sich im Frühjahr der Schnee aus den mittleren Höhenlagen zurückzog, zog die Bauersfamilie – oder zumindest ein Teil von ihr - mit ihrem Vieh von ihrem Hof („Hemat“) in den Dauersiedelungen im Tal hinauf auf die Maisäße. Dies war meist im Mai – daher auch der Name – oder spätestens im Juni der Fall. Dort konnte das Vieh – Kühe, Schafe, Esel, Ziegen oder Pferde – auf der Weide äsen.

Die Maisäße befinden sich auf 1.200 bis 1.600 Meter Seehöhe. Sie waren durch ihre bewaldete Hanglage für den Ackerbau unbrauchbar und wurden gerodet. Diese "Rodungsinseln" konnten dann für die Viehwirtschaft als Mittelstufe zwischen dem Heimgut im Tal und der Alpe oberhalb der Baumgrenze genutzt werden.

Alpe Garnera | © Montafon Tourismus GmbH/bewusstmontafon

Weiter hinauf zur Alpe

Gingen die Futtervorräte nach einigen Wochen auch am Maisäß zu Ende, wurden die Tiere dem Alpmeister oder Hirten übergeben. Er trieb das Vieh weiter auf die hinauf auf die Alpe, wo es zwei bis drei Monate lang in den Höhenlagen saftige Kräuter und Bergwiesen weiden konnte.

Der Bauer musste nun sein Vieh nicht mehr selbst füttern und melken. Das gab ihm Zeit, sich der Heuernte zu widmen. Er kehrte ins Tal zurück, wo meistens zweimal gemäht wurde: die Heuernte im Juni und das Grummetheu gegen Ende August. In der Zeit dazwischen wurden auch die Bergmähder (einmädige und meist ungedüngte Wiesen) geheut und das Heu in Bargen vor Ort eingelagert. 

Im September mit dem Herbstbeginn und bevor der erste Schnee die Alpen erreichte, trieb man das Vieh zurück auf den Maisäß, wo es je nach Wetterlage noch ein wenig verweilte bevor es wieder ins Tal ging. Der Alpabtrieb war der Höhepunkt des bäuerlichen Jahres und wird bis heute feierlich begangen.

Den Winter verbrachten die Tiere im Stall. Oft mussten die Bauern sogar einen Teil ihres Viehs verkaufen, da es trotz aller Bemühungen an Futter in der kalten Jahreszeit mangelte.

Gefährliche Fracht

In den Wintermonaten musste dann das in Bargen gelagerten Heu in den höheren Lagen je nach Bedarf mit Heuschlitten ins Tal gebracht werden. Dazu wurden Heubündel („Bätscha“) geschnürt und auf den Heuschlitten befestigt. Die Abfahrt mit den Schlitten war nicht nur wegen möglicher Lawinen sehr gefährlich. Es bedurfte auch viel an Kraft und Erfahrung, um nicht zu verunglücken. Besonders die Gefahr, mit den Beinen unter den Schlitten zu geraten, („Undarifrässa“) war nicht zu unterschätzen.

Nun weißt Du, wie im Montafon die Dreistufenlandwirtschaft entstanden ist, die über Jahrhunderte die Kulturlandschaft und das Leben der bäuerlichen Bevölkerung prägte. Und bis heute das Leben von manchen Landwirten wie beispielsweise Oswald Ganahl. 

Bis heute wird die Dreistufenlandwirtschaft gelebt

Er betreibt in Bartholomäberg mit seiner Familie eine Dreistufenlandwirtschaft nach altem Vorbild. „Wir wollen die Tradition weiterführen. Obwohl es sehr viel mehr Aufwand ist, ist uns das wichtig“, erzählt er mit Stolz. Jedem in der Familie kommt dabei eine eigene Aufgabe zu. „Bei uns im Betrieb helfen drei Generationen mit. Ohne diese Zusammenarbeit könnten wir die Dreistufenlandwirtschaft schon lange nicht mehr machen“, erklärt er. „Dadurch, dass wir dem Futter in die Höhe nachziehen, können wir im Tal früher und öfter heuen. Das entlastet den Betrieb im Winter sehr“, beschreibt Oswald Ganahl einen der Vorteile der Dreistufenlandwirtschaft in der heutigen Zeit.

Die Dreistufenlandwirtschaft wird im Montafon also noch immer hochgehalten. Dabei darf man nicht vergessen, dass das Leben früher auf dem Maisäß in erster Linie beschwerliche Arbeit bedeutete. Es wurde gemäht, gemolken, gesennt, gemistet, gedüngt und gefüttert ohne maschinelle Unterstützung. Jeder Grashalm war wertvoll und das Wohl des Viehs ging meist über das eigene. Die kleinen Gebäude boten kaum genug Platz für alle Bewohner. Komfort gab es keinen. „Selbst in meiner Kindheit vor rund 40 Jahren hatten wir weder Fernseher noch Radio. Waschen mussten wir uns mit eiskaltem Wasser aus dem Trog vor dem Maisäß“, erzählt Oswald Ganahl von vergangenen Zeiten. 

Matschwitz Maisäßsiedlung | © Montafon Tourismus GmbH, Schruns

„A Stückli heile Welt“

Und doch waren die Wochen am Maisäß vor allem bei den jungen Menschen sehr beliebt. Zeitzeugen berichten von einer Auszeit vom alltäglichen Leben. Die Arbeit war trotz allem weniger hart wie am Hof daheim, es blieb mehr Zeit für andere Beschäftigungen. Gesellige Abende mit Nachbarn, Hirten und Jägern sorgten für heitere Ablenkung von der Abgeschiedenheit. „Wir haben uns jeden Abend bei einem anderen Nachbarn getroffen. Die Gemeinschaft wurde einfach gepflegt. Es war ein Stückchen heile Welt da oben“, erinnert sich Oswald Ganahl.

Die Bedeutung der Maisäßlandschaften hat sich mit dem Strukturwandel nach dem Zweiten Weltkrieg verändert. Die landwirtschaftliche Nutzung ging bedingt durch Produktionsdruck und Rationalisierungen stark zurück und machte das Maisäß als Mittelstufe in der Bewirtschaftung beinahe überflüssig. Heute steht ihre freizeitwirtschaftliche und touristische Nutzung im Vordergrund. Fast 80% aller Montafoner Maisäße, die heute oft wesentlich komfortabler sind, werden heute so genutzt.

Die Maisäßlandschaft und die damit verbundene Lebenskultur prägen die Menschen und das gesamte Landschaftsbild des Tales Montafon jedoch weiter. Heute sind für viele Montafonerinnen und Montafoner die Maisäße magische Orte zum Innehalten, Erinnern und Erholen. Viele empfinden auch heute noch eine starke emotionale Bindung zu ihren Maisäßen, denn sie sind ein Bindeglied zur Vergangenheit ihrer Vorfahren, deren Lebens- und Arbeitsweisen, Wertvorstellungen und Kenntnissen über die Natur. Sie haben von ihren Eltern und Großeltern gelernt, sie zu lieben und wertzuschätzen. Wer das große Glück hat, ein eigenes Maisäß zu besitzen, der hegt und pflegt es wie einen wahren Schatz. „Jedes Mal, wenn ich wieder oben auf dem Maisäß bin, erinnere ich mich an die alten Zeiten und vergesse den Stress unten im Tal“, beschreibt Oswald Ganahl die Wirkung des Maisäß auf ihn.

Obwohl die Maisäße als Mittelstufe heute wesentlich weniger in der Landwirtschaft genutzt werden, weiden bis heute viele hunderte Kühe und andere Tiere auf den rund 25 Montafoner Alpen. Du kannst sie gut zu Fuß oder mit dem Bike erreichen und die dort hergestellte Milch, Butter oder Käse solltest Du Dir auf keinen Fall entgehen lassen!

Frühling am Bartholomäberg | © Montafon Tourismus GmbH, Schruns

Kulturlandschaft prägt den Tourismus

Auch für den Tourismus spielt die Aufrechterhaltung der Montafoner Kulturlandschaft eine enorm wichtige Rolle, denn die Landwirte leisten mit ihrer Arbeit einen wichtigen Beitrag zur Landschaftspflege. Wieviel Mühe jedoch dahinter steckt die oft steilen Hänge der Maisäßlandschaften von Hand zu mähen, ist vielleicht nicht allen bewusst. 

Daher geh mit offenen Augen durch die Montafoner Bergwelt! Überall begegnest Du den Spuren der Dreistufenlandwirtschaft und nimmst diese mit Deinem Wissen nun bewusster wahr. Mehr zu diesem Thema erfährst Du auf dem Gauertaler AlpkulTour mit eindrucksvollen Kunstwerken des heimischen Künstlers Roland Haas und dem besonders familienfreundlichen Vier Barga Weg

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