Unsere Alpenvereinshütten
Unsere Alpenvereinshütten – zwischen Historie,
Hochkonjunktur und Härtetest
Klimawechsel, Konsumverhalten, Nachhaltigkeit – an den Montafoner Alpenvereinshütten lässt sich der Wandel der Zeiten beinahe seismographisch ablesen. Mit Umsicht und smarten Lösungen machen sich alpine Stützpunkte fit für die Zukunft.
Text: Franziska Horn
Ob in Verwall, Rätikon und Silvretta: Dass wir heute auf über zehn (check) traditionsreiche bewirtschaftete Alpenvereinshütten im Montafon schauen können, geht nicht zuletzt auf einen Visionär aus Tirol zurück: Der Alpinist und „Gletscherpfarrer“ Franz Senn (1831 – 1884) lockte im 19. Jahrhundert städtischen Sommerfrischler in die Berge, um den Einheimischen eine wirtschaftliche Grundlage zu sichern. Ein Mann mit Mission: Ab 1860 begann Senn, Wege und Steige anzulegen und Schutzhütten in den Alpen zu errichten,1862 begründete er mit Gleichgesinnten den Österreichischen Alpenverein (ÖAV), 1869 den Deutschen Alpenverein (DAV). Gut 150 Jahre ist das nun her, doch unsere Alpenvereinshütten haben noch immer genau dasselbe Ziel: den Gästen Schutz und Zugang zur Schönheit der Berge zu bieten.
„Wir verzeichnen rund 6.000 Nächtigungen im Sommer, schon das dritte Jahr in Folge. Und nochmal so viele Tagesgäste“, sagt Markus Jankowitsch zufrieden, seit 2018 Pächter der Tilisunahütte. Die liegt auf 2.211 Meter Höhe im Kalk des Rätikon, unterhalb der mächtigen Sulzfluh. Im Jahr 1878 von der Sektion Vorarlberg erbaut, schaut die „Tilisuna“ auf eine reiche Historie. Als Hütte der Kategorie I zählt sie zur hochalpinen Klasse, per Definition der Alpenvereine also eine Schutzhütte in extremer Höhe, die ihren Charakter als alpiner Stützpunkt bewahrt hat, ohne mechanische Hilfen wie Lifte und Seilbahnen erreichbar ist, mit Zustiegen von mindestens einer Gehstunde. Auch eine schlichte Ausstattung und ausreichende Verköstigung gehören zu dieser Kategorie.
Logistische Meisterleistung – so kommt das Schnitzel auf den Berg
Hinter der knappen Definition stehen komplexe Herausforderungen. Auch weil sich beispielsweise klimatische Auswirkungen in der Höhe summieren. Auch gesellschaftlich, technisch und ökologisch hat sich viel verändert. Das Fazit gleich vorneweg: Bis heute ist es eine Form von Luxus, oberhalb von 2.000 Höhenmetern eine warme Suppe in einer beheizten Stube kredenzt zu bekommen – erst recht ein Mehr-Gang-Menü mit passender Weinbegleitung. Denn: Woher kommen Strom, Heizung, Brennstoff, Trinkwasser? Die Zutaten für frischen Salat, ein Fleischgericht oder veganes Essen? Das Meiste muss über Zufahrten, per Materiallift oder Helikopter herauf geschafft werden, die Abfälle wiederum entschwinden auf selbem Wege ins Tal, sauber getrennt, gepresst und später im Bauhof entsorgt. Das höhentaugliche Personal steht oft ab sechs Uhr morgens in der Küche, um die ausgeruhten Gäste pünktlich mit einem fein sortierten Frühstücksbuffet zu begrüßen.
Spa statt spartanisch
Noch vor wenigen Jahrzehnten genügte den erschöpften Gipfelaspiranten tatsächlich eine heiße Suppe nebst Matratzenlager. Heute sind WLAN und USB-Steckdosen gefragt, Hotelkomfort und Hundezimmer, großzügige Waschbereiche mit Warmwasser, Standby-Service und Spezial-Menüs für diverse Ernährungs-Besonderheiten. Anforderungen, auf die Schutzhütten von heute – nach Möglichkeit – eingehen.
An Ökologie führt kein (Berg-)Weg vorbei
Nachhaltigkeit ist heute ein Muss: Wie die Heinrich-Hueter-Hütte am Fuß der Zimba erhielt auch die Tilisunahütte bereits das „Umweltgütesiegel der Alpenvereine“, das hohe Standards in ressourcenschonender Bewirtschaftung, in Energieeffizienz und klimafreundlichem Betrieb verlangt. Die ausgezeichneten Hütten verfügen meist über eine Bio-Kläranlage, die die Feststoffe von Fäkalien auffängt und ins Tal abtransportiert. Der Ökostrom kommt aus Photovoltaik-Anlagen auf Dach oder Fassade.
Der Klimawandel lässt grüßen
Auch die Natur verändert sich stark: Durch schwindenden Permafrost entsteht Steinschlag, schmelzende Gletscher machen das Wasser knapp, höhere Temperaturen bewirken Stürme, während Starkregen Murenabgänge verursachen kann. So kann sich der Verlauf von Routen und Zustiegen ändern, was Umsicht in der Tourenplanung erfordert. Doch so war es schon damals bei Pfarrer Senn: Wer die Freuden einer veritablen Bergtour erleben will, braucht Verständnis dafür, was es heißt, sich in freier, größtenteils unreglementierter Natur zu bewegen.
Im heute angekommen
Der Katalog an Anforderungen zeigt sich als komplexe Aufgabe, der sich die heimischen Hüttenwirte heute stellen: Ob auf Stützpunkten wie der Lindauer Hütte (DAV) im Rätikon, die in den letzten Jahren generalsaniert, umfassend renoviert und umgebaut wurde oder auf der Neuen Heilbronner Hütte (DAV) im Verwall, wo sich Gäste über eine E-Bike-Ladestation, ein Kneipp-Becken und eine Kletterwand freuen. Ebenso auf der 2.443 Meter hoch gelegenen Wiesbadener Hütte (DAV), Ausgangspunkt für hochalpine Touren in die Silvretta, ein Höhepunkt ist die Gipfelbesteigung des Piz Buin, mit 3.312 Metern höchster Berg Vorarlbergs.
Das letzte Wort hat der Berg
Seit Juni 2019 ist Emil Widmann Hüttenpächter. Was stellt für ihn heutzutage die größte Herausforderung dar? „Überhaupt noch Personal zu finden, das inzwischen aus der ganzen Welt stammt“, sagt Widmann prompt. Dazu legte ein Felssturz auf die Silvretta-Hochalpenstraße dem Hüttenwirt und seinen Gästen 2024 buchstäblich Steine in den Weg. Tagesgäste blieben teilweise aus. Doch das nimmt der studierte Umweltwissenschaftler gelassen: „Man entkommt der Umwelt nicht. Und ich kann den Klimawandel nicht ändern. Ich kann nur damit umgehen und aktiv reagieren. Und wenn man auf die Zeitdimensionen schaut, ist alles schon mal dagewesen.“ Auch die Wiesbadener Hütte trägt das „Umweltgütesiegel“ und nimmt am zertifizierten Nachhaltigkeitsprogramm „Montafon – Verantwortungsvolles Gastgeben“ teil.
Gut gerüstet für Zukunft, zählt manch Montafoner Hüttenpächter seinen Arbeitsplatz auch nach Jahrzehnten zum schönsten der Welt: „Schau hier einfach mal aus dem Fenster, das Gesamtpaket stimmt einfach“, sagt Markus Jankowitsch oben auf der Tilisunahütte. Tourismuspionier Franz Senn würde ihm da nicht widersprechen.