RIDE TO LIVE ANOTHER DAY

Wenn man anfängt, eigene Touren zu planen und durchzuführen, ist es, als ob sich ein neues Universum auftut. Dabei müssen zunächst die Grundlagen erlernt und trainiert sowie Erfahrungen gesammelt werden. Sobald man die Zusammenhänge von Wetter, Schnee, Gelände, Temperatur und dem eigenen Handeln begreift, steht einem die neue Welt des Freeride-Tourings offen.


Und umso erfahrener wir werden, desto leichter vergessen wir manchmal, dass Freeriden, Variantenfahren und Skitouren Outdoor-Sportarten sind, die lebensbedrohliche Risiken bergen. Eine einzige falsche Entscheidung kann eine ganze Reihe von korrekt getroffenen Entscheidungen in einer Sekunde vergessen machen. Daher ist es bei jeder Unternehmung im winterlichen Gebirge wichtig, eine große Portion Vorsicht und Vernunft walten zu lassen.


Neben der Aneignung von grundlegendem Lawinenwissen und den gängigen Risikostrategien (z. B. Stop or Go, 3 x 3 oder Snowcard) ist es daher unabdingbar, mittels Lawinenlagebericht vor jeder Tour Informationen zu den aktuellen Verhältnissen einzuholen. Das A und O der Tourenplanung sind die Interpretation und Beurteilung dieser Informationen und die daraus zu schließenden Konsequenzen für die geplante Tour. Bei jeder Tour müssen die Gefahren selbstständig aufs Neue eingeschätzt und die entsprechenden Entscheidungen getroffen werden.


Daneben spielt der „Faktor Mensch“ eine Schlüsselrolle. Daher sind Aspekte wie Gruppengröße, Fähigkeiten der Teilnehmer, Gruppenerwartung und Kommunikation in der Gruppe wichtige, Entscheidungskriterien bei der Auswahl des Tourenziels und bei der Tourenplanung. Die persönliche Einstellung, das eigene Mindset („Ride to live another day“), hat wohl den größten Einfluss auf das Gefahrenpotenzial während der Tour. Die Lawine wartet nicht auf uns, sondern wir lösen sie mit unserem Verhalten aus.

RIDE TO LIVE ANOTHER DAY Impression #1 | © Freeride Station

Meine SAFETY CHECKLIST

Aber wie die richtigen Entscheidungen treffen? – Über die Jahre hat sich für mich folgende Checkliste als sehr hilfreich erwiesen.

Und genauso wichtig ist es, immer wieder das eigene Lawinen-Know-how zu erweitern und den Umgang mit der Ausrüstung trainieren.

1. Mindset: „Ride another day

Die wichtigste Voraussetzung für alles Weitere ist es, mit dem richtigen Mindset – Ride another day – in den Tag zu starten. Was nützt die Befahrung einer steilen Rinne oder eines besonderen Berggipfels, wenn man den ganzen Tag angespannt unterwegs ist oder im ungünstigsten Fall gar nicht mehr nach Hause kommt? Höre daher gut auf Dein Bauchgefühl und lass Dich nicht allein von äußeren Faktoren leiten!“

 

2. Bleib flexibel

Die entscheidende Frage bei der Tourenplanung ist: Passt das Tourenziel zu den aktuellen Verhältnissen? Und zur Gruppe, mit der Du unterwegs bist? Plane vor jeder Tour Alternativrouten und Alternativziele mit ein. Das erleichtert es enorm, bei ungünstigen Verhältnissen flexibel zu reagieren.

 

3. Know your line

Karten, Guidebooks, Internet und Expert:innen informieren über Routenverlauf, Länge, Höhendifferenz, letztere manchmal auch über die aktuellen Verhältnisse. Daneben verdient der Wetterbericht während der Planung besondere Beachtung, da ungünstige Wetterverhältnisse das Unfallrisiko stark erhöhen. Beobachte während der Tour auch selbst ständig die Verhältnisse. Plane alles so sorgfältig wie möglich, damit Du den besten Eindruck der Abfahrt bekommst.

 

4. Respektiere Schutzgebiete

Informiere Dich bereits vorab zu Hause, wo sich Schutzgebiete befinden, und respektiere diese.

 

5. Check your risk

Hole vor jeder Tour den aktuellen Lawinenlagebericht  ein und informiere Dich eingehend über die Lawinengefahr. Achte besonders auf Informationen zur Gefahrenstufe, zu den Gefahrenstellen und zu den Gefahrenmustern (Wie? Wo? Was?). Beobachte auf Tour die Situation vor Ort und frage Dich ständig selbst, ob Du Dich gerade in einem dieser Gefahrenpotenziale befindest. Lerne Gefahrenzeichen im Gelände zu erkennen und weiche Gefahrenstellen, so gut es geht, aus.

 

6. Vollständige Ausrüstung

Passe Deine Ausrüstung den winterlichen Verhältnissen und dem konkreten Tourenziel an. Die Standardausrüstung für den Notfall besteht aus Lawinen-Verschütteten-Suchgerät (LVS), Sonde und Schaufel, Erste-Hilfe-Paket, Biwaksack und Mobiltelefon. Ein Airbag-System erhöht die Überlebenschancen. Die Ausrüstung allein hilft aber nichts – lerne und trainiere den Umgang ihr!

 

7. Fahre mit System

•    Lawinenlagebericht zum Frühstück
•    Nie ohne LVS-Ausrüstung aus dem Haus und insbesondere ins Gelände
•    Beim Aufsteigen in steilem Gelände große Abstände einhalten
•    In der Gruppe nie alle auf einmal in den Hang fahren
•    Sehr steile Hänge immer einzeln abfahren
•    Vor dem Losfahren immer schauen: Wer/was ist über mir – wer/was ist unter mir?
•    Sichere Sammelpunkte wählen
•    Kontrolliertes Fahren in Gefahrenbereichen

 

8. Was passiert im Worst Case?

Auch wenn Du alles gut geplant und berücksichtigt hast, überlege Dir die Konsequenzen.

 

9. Lerne, nein zu sagen

Hört sich banal an, ist aber eventuell gar nicht so leicht, wenn man in einer hochmotivierten Gruppe unterwegs ist oder der nächste Instagram Post schon im Hinterkopf geplant wird. Wenn es sich nicht gut anfühlt, warum und wann auch immer: verzichte – und „ride another day“.

RIDE TO LIVE ANOTHER DAY Impression #1 | © Freeride Station

Powderfest

Wenn Du Dein Safety Know-how auffrischen oder vertiefen möchtest, dann schau doch beim jährlichen Powderfest
 in der Silvretta Montafon vorbei.

Infos & Anmeldung: www.powderfest.at

 

Text: Auszug aus dem Buch: Freeride Bucket List Vorarlberg | Tyrolia Verlag

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